The Merchant of Venice

Herzlichen Glückwunsch!

Ich fand es unglaublich, faszinierend, anspruchsvoll, belebend, fesselnd, traurig, ergreifend...

Theater, euer Team, der Chor, alle Akteure, es ging unter die Haut. Alle kleinen Pannen waren liebenswert.

Dankeschön.

                                                              Antje Mac Lean

Liebe Shakespeare Players!

Kombiniere, ihr seid auch schon komischen Menschen begegnet, die von oben herab Dinge sagen wie: "Ach, bloß 'ne Schulaufführung. Den Abend spar' ich mir, hab' ich doch früher eine Glanz-und Gloria-Inszenierung mit dem oder dem großen Schauspieler (feminin gern mitzudenken) in der und der hochgepriesenen Inszenierung gesehen" --- Ist schon OK, sollen sie doch so einseitig denken und reden: wir aber lassen Besserwisser solcher Art gern auf ihren hohen Rössern davontraben, besonders wenn sie von Shakespeare und seinem Theater herzlich wenig Ahnung, in der Regel auch nie nur ein einziges seiner Stücke richtig durchgearbeitet haben, schon gar nicht im Original.

Ihr jedoch - und das schon im 17. Jahr! - habt euch sachkundig gemacht und all euren Zuschauern gezeigt, was Shakespeare vor etwa 400 Jahren entwarf und zur Aufführung brachte - damals übrigens ja auch schon mit zum großen Teil unausgebildeten, unprofessionellen Spielern. Und wie phantastisch habt ihr jetzt gerade das schwierige Stück über den Kaufmann von Venedig verinnerlicht und wieder eine grandios durchdachte, dem alten Meister durchaus gerecht werdende und doch moderne Inszenierung hingelegt.

Auch gerade alle die Zuschauer, die das Stück genau kennen, mussten begeistert sein darüber, wie eure Regie - man kann Frau Baasner nicht dankbar genung sein! - zusammen mit dem gesamten Ensemble die Grundpfeiler dieser tragischen Komödie herausgearbeitet hat. Es beginnt schon beim Personenverzeichnis im Programmblatt. Antonio, eben der Kaufmann von Venedig, steht an erster Stelle. Genau: ER ist der Kaufmann, um den es hauptsächlich geht; ER führt das Freundschaftsideal der italienischen Renaissance vor - mit dem Einsatz zunächst seines Geldes, später dann mit Leib und Leben.

Ja, und dann Venedig: grandios gezeigt in dem atemberaubenden Bühnenbild samt Gondel und Gondoliere. Durch das italienische Lied am Anfang geht es auch gleich los mit eurer gar nicht hoch genug zu preisenden Ensemble-Arbeit, die den venezianischen Lebensstil herrlich unterstreicht: die karnevalesken Masken, der Prunk der Kleidung, der Klatsch auf dem Rialto, die kommentierenden Sprech- und Spielchöre bei der Kästchenwahl und natürlich die bewegten und bewegenden Äußerungen der Beobachter in der Gerichtsszene.

Dazu immer und immer wieder die mit dem Geschehen klug verbundene gesungene und gespielte Musik. Natürlich könnte man noch viele, viele wunderbare Einzelheiten aufzählen von schauspielerischen Leistungen, vom Zusammenspiel der ganz Jungen mit Älteren oder Alten, von Verkleidungen oder dem Sich-Verlieben auf den ersten Blick usw. usw., aber dann würde mein Brief an euch wohl doch etwas zu lang.

Nur einen Aspekt muss ich unbedingt noch erwähnen, weil es um ein Hauptthema des Stückes geht. Wer sich am Anfang bei der Betrachtung des Bühnenbildes vielleicht noch kurz über die Kapelle gewundert hat, erkennt dann schnell den anderen Grundpfeiler der Handlung. Das Wucherthema verbindet sich ja nicht nur mit einer ethisch-juristischen, sondern auch mit einer theologischen Frage. Wenn sich durch einfaches Umdrehen des Kapellenbildes eine Synagoge zeigt, ist man ganz bei Shakespeare und der Gegenüberstellung neutestamentlicher Vorstellungen, wie sie die italienische und die englische Renaissance vertraten, und daneben der alttestamentlichen Lehre, wie sie Shylocks Leben in seinen besten Momenten durchaus bestimmt.

Und wenn sich dann auch noch ein junger Chor - mitsamt brillantem Kantor - imstande zeigt, ein Stück aus der jüdischen Liturgie zu singen, dann kann man wieder nur darüber staunen, wie hier Kulturgeschichte verinnerlicht und sichtbar gemacht wurde.

In einer Schulaufführung - JAWOHL!! - in einem glanzvollen Projekt, an dem etwa ein Schuljahr lang gearbeitet wurde ud das mit Sicherheit alle Beteiligten dankbar in ihr weiteres Leben mitnehmen.

Bitte weitermachen! Es freut sich schon aufs nächste Jahr

eure Zuschauerin

                                                       Hildegard Vollmer

Vielen Dank für den amüsanten und gondeligen Abend gestern. Ihr könnt wirklich stolz auf euch sein. Besonders gefallen hat mir die spanische Trippel-Armada und die Hauptdarsteller waren natürlich der Hammer. Toll, wie ihr das jedes Jahr aufs Neue hinbekommt.

                                                       Alexander Vonberg

Anmerkungen zu der Inszenierung

des Merchant of Venice, Juli 2017

 

Die Tragikomödie Der Kaufmann von Venedig ist eine Herausforderung für jeden Regisseur. Das Thema  bleibt immer aktuell. Aber den verwirrenden und vielschichtigen Text sinnvoll zu kürzen, die richtigen Schwerpunkte zu setzen und diese wirkungsvoll auf die Bühne zu bringen,

ist eine Sisyphus-Aufgabe, auch für erfahrene Regisseure. Diese zu lösen, ist Martina und Peter Baasner gelungen.
Zunächst fällt das gute Sprachtraining der jungen Schauspieler auf. Alle sprechen ein klares, gut artikuliertes, manche ein perfektes, authentisches Englisch.

Es müssen zwei Parallelhandlungen szenisch in Einklang gebracht werden, ein schwieriges Unterfangen, das der Regie aber vollkommen gelingt:
Im Vordergrund der Haupthandlung steht die Feindschaft zwischen dem angesehenen, reichen Kaufmann Antonio und dem gesellschaftlich geächteten, reichen Juden Shylock. Was beide eint, ist, dass sie Melancholiker und Loner sind. 

 

Im Kontrast dazu steht die Parallelhandlung, die märchenhafte Züge trägt: Auf der mythischen Insel Kolchos befindet sich das Schloss Belmont, auf dem die schöne, reiche Portia lebt, die das Testament ihres Vaters erfüllen muss. Die Männer; die um sie werben, sollen unter drei Fragen die richtige Antwort finden, um ihrer würdig zu sein.

Die erfahrene Regisseurin hat auf phantasievolle Weise, die Möglichkeiten von Wort und Bild, die eine Bühne bietet, genutzt, um beiden Handlungssträngen gerecht zu werden.
Der Schwerpunkt der Regie liegt auf dem Konflikt zwischen den christlichen Bürgern von Venedig und dem Einzelkämpfer Shylock, der als Vertreter des geächteten Judentums keine Chance hat, sich eine bürgerliche Gleichberechtigung zu erkämpfen. Dies böte eigentlich schon mehr als genug Stoff für ein Drama.


Umwerfend ist der Beginn: Die verlogene christliche Gesellschaft maskiert sich. Sie zeigt nicht ihr wahres Gesicht. Eine Gruppe von Venetianern, die sich hinter blauen, vogelartigen Maken verbergen, stürmen bedrohlich an das Publikum heran und skandieren einen Text wie ein rätselhaftes Ostinato, womit die Zuschauer hypnotisiert und gleich in das Geschehen eingebunden werden. Alls klatscht. Diese unheimliche, vitale Truppe setzt ihre Akzente im Ablauf des ganzen Dramas, besonders eindrucksvoll auch zu Beginn des dritten Aktes mit 'What news on the Rialto', wo die plappernden blauen Schnäbel die bösen Zungen, den Gossip darstellen; denn es geht das Gerücht, dass alle Schiffe des allzu großzügigen und selbstherrlichen Antonio untergegangen sein sollen.
Auf geniale Weise nutzt die Regisseurin die Symbolkraft der Bilder, die keiner kommentierenden Worte bedürfen: Zu Beginn des Dramas geht Shylock über den Rialto, und ein Passant, – Antonio -, spuckt ihn an. Es fällt kein Wort, aber das Zeichen ist gesetzt.

In ähnlicher Weise werden Musik und Gesang eingesetzt, die mehr aussagen als das gesprochene Wort. Der Chor aus sehr jungen Sängern, wahrscheinlich Siebtklässlern, die wie Sängerknaben wirken, singt zu Beginn des Dramas einen Choral in einem Gottesdienst, in dem der gleiche Schauspieler, der den reichen Kaufmann Antonio spielt, als Pastor vor dem Kreuz am Altar kniet und betet. Dieser Gottesdienst wird so als Götzendienst entlarvt und bedarf keines weiteren Kommentars.
Geradezu an die Seele rührt es, wie im späteren Verlauf des Dramas das Altarbild umgedreht wird und auf der anderen Seite der Altar der Synagoge erscheint, vor dem Shylock als Rabbiner vor dunklem Hintergrund steht und mit seiner hochgewachsenen Gestalt und der silbernen Haarpracht Würde und Alters-Schönheit ausstrahlt, während der Knabenchor dazu tröstliche liturgische Lieder singt. Zugleich sieht man Kilian Peters, der vorher als Pastor vor dem Kreuz kniete, nun im Chor der jüdischen Gemeinde stehen und hört ihn mit eindrucksvollem Tenor die sanften Lieder des jüdischen Oberkantors singen. Jedem wird hier klar, was Religion bedeutet: Trost und Zuflucht für die Einsamen und Geächteten in der Gesellschaft. Unmittelbar darauf folgt der ergreifende und bittere Monolog des Shylock, der in gewisser Weise einen Kommentar zu dem vorangegangenen Szenario darstellt (Hath not a Jew affections, passions…If you prick us, do we not bleed?). Diese Szene ist der emotionale Höhepunkt des Dramas, aber zugleich die Klimax, auf die eine gewisse Ernüchterung folgt.

 

Der 4. Akt, die Gerichtsverhandlung vor dem Dogen von Venedig, in dem die märchenhafte Parallelhandlung von Portia und ihrer Vertrauten Nerissa in den Vordergrund tritt und Frauenpower sich entfaltet, wirkt gegenüber dem vorangegangenen Seelendrama beinahe wie eine Posse. Aber zugleich bietetet der 4. Akt auch den für ein Drama unentbehrlichen Comic Relief. Die als Advokat verkleidete Portia, Maria Canzoneri, spielt mit Witz den Dr. Balthasar aus Rom und mokiert sich über das Gericht, indem sie selbstbewusst über die Bühne schreitet. Sie spielt ihre Vertraute, Nerissa, in der Rolle der Advokatenschreiberin

an die Wand. Schon bei der Planung hatte sie Nerissa verkündet, sie werde als Jüngling eine bessere Figur abgeben als ihre Freundin.

Dennoch gibt es ein Innehalten, als Portia in ihrem Gnadenmonolog an Shylock appelliert, Mitleid zu zeigen, der aber auf seinem Recht und auf seiner  Rache beharrt. Die Szene wird voll ausgespielt: Erst als Shylock das Messer zückt, greift Balthasar/Portia ein, um mit ihrer kasuistischen Auslegung des venetianischen Rechts das Blatt zu wenden.
Hier weicht die Regie von Shakespeares Text ab: Shylock unterwirft sich nicht dem Verdikt, sich zum Christentum zu bekehren, sondern verlässt Venedig. Er steigt von der Bühne herab, seinen Koffer in der Hand, geht mit schweren Schritten durch das Pubikum und verlässt den Raum. Er verkörpert den Ahasver, den ewigen Juden, dessen Suche nach Heimat und Geborgenheit nie enden wird. Dies ist die eindringlichste Botschaft dieses Merchant of Venice, die heute auch in Deutschland wieder besonders aktuell ist. Und Peter Baasner spielt den Shylock ebenso eindrucksvoll wie vor einigen Jahren den Prospero im Tempest. In diesem märchenhaften Spätwerk Shakespeares verkörperte er aber den weisen, alten König im Exil, der auf seiner Insel alles Böse und alle finsteren Mächte beherrscht. Als Shylock aber ist er ein in Schuld verstricktes, leidendes Individuum.

Er ist wie alle Akteure in diesem Drama ein Mensch mit guten und bösen Seiten. Dies ist eine ungleich größere schauspielerische Herausforderung, die Peter Baasner eindrucksvoll bewältigt. Die Poesie der Sprache Shakespeares entfaltet sich voll in seinem klaren, klangvollen Vortrag. Besonders anrührend ist aber, dass er zwar wie die Schüler eine Rolle spielt, gleichzeitig aber  auch die  Weisheit und Verletzlichkeit des Alters realiter verkörpert.

 

Im Zusammenhang mit dem Primat der Bilder in dieser Inszenierung des Merchant of Venice, in der die Eidetiker voll auf ihre Kosten kommen, muss man auch die Symbolkraft der Farben erwähnen: Als Jessica noch bei ihrem Vater lebt, ist sie in mausgrau gekleidet; denn sie lebt in dem Gefängnis einer orthodoxen Religiosität, wo Lebensfreude sich nicht entfalten kann. Auch Tanzmusik ist nicht erlaubt. In dem weißen Kleid, das sie später als Christin  trägt, ist sie verwandelt in eine liebliche und zugleich christlich geläuterte junge Frau.

Was diese Aufführung auszeichnet, ist auch der Mut zur Stille: Zu Beginn des 5. Aktes sitzen Lorenzo und Jessica im Park von Belmont in einer Mondnacht zusammen, während Musik erklingt und Lorenzo die Musik als Schutz vor dem Bösen im Menschen preist ('Here will we sit, and let the sounds of music/ Creep in our ears.../The man that hath no music in himself/..Is fit for treasons, stratagems and spoils'...) Diese Szene ist die einzige, in der –mitten in dem turbulenten Abrechnungsgeschehen um die veruntreuten Ringe - vollkommener Friede herrscht– auch abweichend von dem Text. Dennoch weiß der Zuschauer, dass die beiden Liebenden treason, Verrat, begangen haben, als sie das Komplott gegen Shylock schmiedeten, um Jessica zu entführen.  Peer Fischer ist eine ideale Besetzung für die Rolle des Lorenzo, da er eine jugendliche Treuherzigkeit und Unschuld ausstrahlt.  (Auch fast alle anderen Rollen sind einfühlsam besetzt.)

 

Wie in allen Inszenierungen von Martina Baasner gibt es auch in dieser Inszenierung Showeffekte; sie sind aber immer in den Kontext eingebunden: Um das Liebesglück zu feiern, wird von geschmeidigen Tänzerinnen und Tänzern ausgiebig gehottet und gerockt. Auch haben die Choreographen die Stereotypen der Freierszenen durchbrochen und die Freier nicht durch Worte charakterisiert, sondern durch tänzerische, bzw sportliche Auftritte der Begleitpersonen des jeweiligen Bewerbers:
Portias erster Freier, der Prinz von Marokko, ist ein He-man, ein Kraftmotz, der ein Gerippe im goldenen Kästchen findet. Um ihn einzuführen, stürmt ein Trupp von Supersportlern in bunten arabischen Pumphosen in den Zuschauerraum und springt mit Riesensätzen leopardenhaft auf die Bühne. Es sind wahrscheinlich die Stars der Leichtathleten des Ebert Gymnasiums. Und wieder tobt das Publikum.
Der zweite Freier, der Prinz von Aragon, wird begleitet von einer Truppe maniriert trippelnder, schwarz gekleideter Frauen, die tänzerisch das eitle Wesen des selbstverliebten  Bewerbers anprangern, der einen Narren in dem silbernen Kästchen findet.

Zu loben ist auch das Bühnenbild, das sich in Minutenschnelle mit wenigen Handgriffen verändern lässt: Die Rialtobrücke mit dem Fluss ist der permanente Hintergrund. Um den Salon der schönen Portia zu schaffen, wird nur ein großes Tuch aus rotem Samt über das Brückengeländer der Rialtobrücke und über das Podest davor geworfen, hinter dem die Stadtkulisse verschwindet. Noch ein paar rote Kissen auf das Polster verstreut, und der Ort der Verführung ist perfekt.
Die venetianischen Gondeln, auf denen Verschwörer oder Liebende transportiert werden, sind Holzattrappen in Gondelform, die täuschend echt erscheinen, da die Füße der Akteure, die sie über die Bühne tragen, von der Attrappe verdeckt werden. Auch dies weckt Heiterkeit im Publikum.
Es gibt Tempo und Stille in dem Bühnengeschehen, aber niemals Langeweile. Und über allem waltet ein sublimer Humor.


Die Leistungen einzelner Schauspieler in diesem faszinierenden Ensemble müssten eigentlich noch gewürdigt werden.
Herausragende Talente sind gewiss Kilian Peters, Lucca Riedmayer und die exotische Schönheit Maria Canzoneri mit ihrer üppigen schwarzen (Angela Davis-) Lockenpracht, aber auch Philip Bock, der den Shakspeareschen Narren ersetzt, nicht als der witzig-weise Ironiker wie im Hamlet, sondern in der proletarischen Ausprägung als brillant gepielter geschwätziger, manchmal rüpelhafter Gratiano.
Es gibt eigentlich keine wirklichen Nebenrollen. Auch die Diener fügen sich glaubwürdig in ein großes Gesamtbild der venezianischen Gesellschaft ein.

Dies besondere Theatererlebnis konnte nur vermittelt werden durch das Zusammenwirken aller kreativen Kräfte, die eine gute Schule zu bieten hat.

Aber der Regie gebührt die Palme; denn sie hat den sperrigen Text von Shakespeare entrümpelt und dessen zeitlosen Kern mühevoll herausgearbeitet, um das Stück spielbar zu machen.

Allen Beteiligten dafür herzlichen Dank!

                                                          Ingeborg Jacobs