Cymbeline
Im Drama verläuft die Handlung dramatisch, in der Tragödie tragisch, im Lustspiel heiter und im Trauerspiel betrüblich. In der Romanze aber ist einfach alles möglich! In ihr kommen
Zauberer und Nymphen, Gespenster sowie jede Art von Bösewicht und Hexe vor. Missgünstige Königinnen schmieden fiese Ränke, verblödete Aristokratensöhne werben plump um keusche Jungfrauen, die ihr
Herz längst an einen edlen Jüngling vergeben haben. Und endlich erscheinen sogar Götter und greifen, aus heiterem Himmel kommend, in die Handlung ein, bestrafen Bösewicht und Bube, Ränkeschmied und
Neider und
führen die durch Missgunst und Intrige getrennten Liebenden glücklich wieder vereint dem wohlverdienten happy ending zu. Bestrafung von Missetat und Schurkerei, Belohnung von Treue,
Keuschheit, Gottvertrauen bilden immer Ende und Ausgang einer Romanze. Sie steht unter der Ägide des romantischen Ideals, dass wahre Liebe eben jede Hürde, jedes Hindernis zu überwinden vermag.
Das weiß der Zuschauer natürlich alles von vornherein. Er erwartet gar nichts anderes, denn dass Böses böse endet und Gutes gut, hat etwas Beruhigendes, die Romanze suggeriert Stabilität. Komme, was da wolle, das Gute siegt, das Böse unterliegt, und wenn schon nicht im realen Leben, in der Romanze geht es gerecht zu.
In der typischen Romanze sind die Hauptfiguren, d.h. Liebhaber und Geliebte jung, sympathisch, gutaussehend und ganz offensichtlich füreinander bestimmt, ihre Widersacher gehässig, hinterlistig, egoistisch, brutal und, was ihr Äußeres anbelangt, von ihrem Charakter entstellt. In der Romanze gibt es keinerlei Entwicklung der einzelnen Handlungsträger, sie bleiben schachfigurengleich dieselben, sie verharren als das, was sie vom Anfang bis zum glücklichen oder bitteren Ende waren, sie sind stereotyp, charakterlich bleiben sie sich gleich, sie haben eher symbolische Bedeutung: der junge Held ist gut, die Geliebte keusch, der Mitbewerber hinterhältig, die Königin hinterlistig, der König oder Vater unberechenbar.
Die Handlung ist oft episodenhaft und reiht unwahrscheinliche Ereignisse in exotischer Umgebung aneinander. Die Handlungsträger müssen oft lange und gefährliche Reisen unternehmen. Schiffskatastrophen sind häufig. Den Reumütigen wird vergeben. Magie ist immer mit von der Partie, übernatürliche Kräfte sind am Wirken, selbst Gottheiten erscheinen und mischen, wie schon gesagt, nach göttlichem Gutdünken munter mit.
Die Liebe ist immer Auslöser außergewöhnlicher Entwicklungen und Abenteuer, von denen die Liebenden zahlreiche bestehen müssen und das oft in spektakulär exotischer Umgebung. Trennung und glückhafte Wiedervereinigung sind von zentraler Bedeutung in der Romanze. Die Geliebte wird von ihrem Geliebten getrennt, die Ehefrau von ihrem Mann, Eltern verlieren ihre keuschen Töchter, Herrscher Herrschaft und Besitz, aber – am Ende wendet sich alles zum Guten, das happy ending ist in der Romanze immer garantiert. Das alles ist dem Zuschauer von Anfang an bewusst, er rechnet mit nichts anderem. Das ist zutiefst beruhigend und nicht nur deshalb ist die Romanze beliebt, denn sie muss auch raffiniert und originell inszeniert sein. Darin liegt ihre Popularität. Unmögliches wird hier möglich, das Unwahrscheinliche passiert in exotischer Umgebung und führt zu unerwarteten Überraschungen.
Eine Romanze sollte man nicht lesen, sie muss gespielt, für die Bühne ingeniös inszeniert sein. Die Darsteller müssen sich der Komplexität dieses Genres bewusst und auf originelle Weise humorvoll sein, denn letztlich ist die Romanze Spiel, etwas nicht ganz ernst Zunehmendes, und das ist auch gut so, denn der Zuschauer will unterhalten sein, sie verschafft dem Zuschauer Ablenkung und wohliges Vergessen. Und dennoch nimmt er etwas mit in seine mehr oder minder raue Wirklichkeit, die Gewissheit nämlich, dass Herrschsucht, Neid, Missgunst, Eifersucht und was es auch immer an Widerwärtigkeit geben mag, keinen Bestand haben werden, und dass sich das Gute durchsetzt und die Liebe alle Hindernisse überwindet.
Aufführungen am 4., 5. und 6. Juni 2019